Chronik: 1970–1979
Was in unserem Dorf geschah:
Am 1. Januar 1970 wurde unsere Schule samt Grundstück schuldenfrei an den Kreis übergeben. Dies war Teil eines Zentralisierungsprojektes, in dem nach dem Bau der Gesamtschulen der Landkreis alle Schulen übernahm.
Im September wurde unsere zu größten Teilen erneuerte Kanalisation endgültig an die Kläranlage in Uschlag angeschlossen. Ebenfalls wurde in dem Jahr mit dem Neubau der Trinkwasserversorgungsanlage begonnen. Wie schon im Abschnitt über die 60er Jahre berichtet wurde, begann im Jahr 1970 der Ausbau der Kasseler und Witzenhäuser Straße. In der letztgenannten mußten erst drei Wohnhäuser abgerissen werden, bevor mit den eigentlichen Straßenbauarbeiten begonnen werden konnte. Die Straßen wurden im September 1971 für den Verkehr wiedereröffnet.
Das Jahresende 1970 wurde für unsere Gemeindevertretung sehr turbulent. Der damalige Landrat Köcher machte unseren ersten Beigeordneten Gottfried Kilian (er vertrat damals unseren Bürgermeister Karl-Heinz Siebert) darauf aufmerksam, daß es sinnvoll und für die Zukunft unserer Gemeinde bedeutsam sein könnte, daß bisher ehrenamtliche Bürgermeisteramt in eine hauptamtliche Stelle umzuwandeln. Diese Möglichkeit endete am 31.12.1970. Danach wäre eine Umwandlung ausgeschlossen. In eilig zusammengerufenen Gemeindevertretersitzungen, nach der Änderung der Hauptsatzung und nach dem positiven amtsärztlichen Attest von K.-H. Siebert (er war zu dieser Zeit ernsthaft erkrankt) wurde er am 29.12.1970 zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister unserer Gemeinde gewählt.
Anfang der 70er Jahre standen im gesamten Bundesgebiet Gemeinde– und Gebietsreformen auf der Tagesordnung. Die hessische Landesregierung plante den Zusammenschluß von Kaufungen und Nieste oder von Heiligenrode/Sandershausen und Nieste. In einer Bürgerversammlung am 18. Februar 1972 wurden beide Varianten abgelehnt. Die Gemeindevertretung und unser Ortsverein faßten den Entschluß, die Modellplanungen abzulehnen. Die Argumente wurden der SPD-Landtagsfraktion bei einer Klausurtagung auf dem Sensenstein im März 1972 vorgetragen und die Landtagsabgeordneten konnten sich vom Sensenstein aus ein Bild von der Lage unserer Gemeinde machen. Was keiner zu diesem Zeitpunkt zu hoffen gewagt hatte, wurde Wirklichkeit: Nieste blieb selbstständig. Wir waren somit die einzige Gemeinde im Altkreis Kassel die von der Gebietsreform verschont wurde. Im August 1972 wurde aus dem Altkreis Kassel, dem Kreis Wolfhagen und dem Kreis Hofgeismar der Großkreis Kassel.
Am 22. Oktober 1972 fanden wieder Kommunalwahlen statt. Diesmal gab es eine Änderung aufgrund der neuen hessischen Gemeindeordnung mußten in Nieste fünfzehn statt bis dato neun Gemeindevertreter gewählt werden. Da nur die SPD antrat mußten deren Kandidaten in einer Urwahl gewählt werden. Die Gemeinde hatte die Wahl zwischen 25 angetretenen SPD-Mitgliedern. Auf Kreisebene konnte unsere Partei in Nieste 82,3% der abgegebenen Stimmen erringen.
Im Jahr 1973 wurden durch die Gemeindevertretung die Weichen für den Bau eines Kindergartens gestellt. Dieser sollte zwei Jahre später seiner Bestimmung übergeben werden. Ein weiteres zu erwähnendes Ereigniss bezieht sich auf unsere politische Konkurrenz. Im März 1973 wurde der Ortsverband der CDU in Nieste gegründet, somit konnten die Bürger ab der Gemeindewahl 1977 wieder zwischen zwei Parteien wählen, ein Zustand der in der Demokratie als wünschenswert gilt.
Der noch heute andauernde Wasserstreit mit der Stadt Kassel hatte seinen Ursprung im trocknen Sommer des Jahres 1973. Die Stadt begann, den in 1935 geschlossenen Vertrag zu unterhöhlen, um die erhöhten Abnahmemengen sicherzustellen.
Kurz vor dem Jahresende 1974 wurde mit dem Bau des Kindergartens begonnen, nachdem die Gemeindevertretung am 21. Oktober ´74 den Bau nach der vorliegenden Planung beschlossen hatte.
In 1975 fanden Bemühungen des Gemeindevorstandes statt, die Endschlagsiedlung mehr an Nieste anzubinden, indem der noch etwa 300 Meter lange Streifen zwischen Witzenhäuser Straße und der Siedlung zur Bebauung freigegeben werden sollte. Der Haken an der Sache war, daß dieser Streifen zu Niedersachsen gehörte. Alle Bemühungen scheiterten an der starren Haltung des Kreises Göttingen.
Am 5. Januar 1976 öffnete der Kindergarten seine Pforten. Die offizielle Einweihungsfeier fand am 16. Januar statt.
Der neue Kindergarten Vor der Warte
Bereits Mitte 1976 befasste sich die Gemeindevertretung mit Planung eines neuen Baugebietes (heutige Thönebergstraße), da die Bauplätze in unserem Ort ausgingen. Am 25. September 1976 wurde Karl-Heinz Siebert einstimmig für weitere zwölf Jahre in seinem Amt bestätigt. Im März des folgenden Jahres fanden wieder Kommunalwahlen statt. Durch die Teilnahme der CDU, mußte keine Urwahl mehr stattfinden. Unsere Partei konnte auf Gemeindeebene 74,1% und auf Kreisebebene 68,4% der Stimmen erringen. Im selben Jahr wurde durch die Gemeindevertretung die Weichen für die Bebauung der heutigen Thönebergstraße gestellt. Im Herbst 1978 wurde mit den Erschließungsarbeiten begonnen. Desweiteren wurde der Neubau der Friedhofskapelle nach Plänen von Arno Dümer forciert und im Oktober 1978 dem Kreisbauamt zur Genehmigung überstellt. Bei der ebenfalls im Oktober stattfindenden Landtagswahl kann unsere Partei 70,7% der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen. Der Wasserstreit, der 1973 begann, beschäftigte viele Behörden. Im Jahr 1979 schaltete sich sogar der hessische Justizminister Dr. Herbert Günther ein, um an den Verhandlungstisch zurückzukehren. In einer heftigen Diskussion am 20. Juni 1979 konnte jedoch keine Einigung erzielt werden. Wieder wurde eine Entscheidung verschoben, da keine Seite von ihrer Position abrücken wollte. Unsere Gemeinde beharte auf ihrem Standpunkt im Sinne der Natur und wenn wir die momentane Situation im Wasserstreit betrachten, hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren nicht viel verändert (wenn man einmal den angeblichen Rückbau, der keiner war, außer acht läßt).
Was in Deutschland und der Welt geschah:
Am 19. März 1970 reist Willy Brandt zum ersten gesamtdeutschen Treffen nach Erfurt und trifft dort mit Willi Stoph zusammen. Dies war der Beginn der erfolgreichen Ostpolitik von Brandt, welche sicher auch einen Teilbeitrag zur späteren Abrüstungs- und Entspannungspolitk geleistet hat. Das zweite Treffen zwischen Brandt und Stoph findet am 21. Mai 1970 in Kassel statt.
Im April erhält unsere Nachbarrepublik Österreich mit Bruno Kreisky den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler.
Bereits im August des selben Jahres reist Willy Brandt mit einer Delegation nach Moskau und kehrt mit einem Vertrag heim, der Verbesserungen der Beziehungen verspricht. Die Oder-Neise-Linie wird durch Brandt als polnische Westgrenze anerkannt. Am 9. November 1970 stirbt im Alter von 80 Jahren Charles de Gaulle. Im Dezember des selben Jahres reist Willy Brandt nach Warschau, um den Vertrag über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der BRD und der Volksrepublik Polen zu unterzeichnen. Fast noch mehr Aufsehen weltweit als der geschlossenen Vertrag erregt eine Geste Brandts bei einem Besuch des Warschauer Ghettos: er kniete am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus nieder.
Im Oktober 1971 gibt das Nobelpreiskomitee bekannt, daß der Friedensnobelpreis Willy Brandt verliehen wird, er wird damit für seine Entspannungspolitik mit dem Warschauer Pakt geehrt. Auch zwischen Ost-Berlin und Bonn kommt es in dieser Zeit zu Annäherungen. Die sog. Berlin- und Transitabkommen werden geschlossen.
Erstmals in der Bundesrepublik kommt es am 27. April 1972 zu einem Mißtrauensvotum des Bundestages gegen den Kanzler, da einige Koalitionsabgeordnete nicht mit den geschlossenen Ostverträgen einverstanden waren. Tags zuvor kam es in der gesamten Republik zu zahlreichen Streiks, bei denen gefordert wird, Brandt solle Kanzler bleiben. Brandt gewinnt die Abstimmung und drei Wochen später werden die Ostverträge im Bundestag gebilligt. Allerdings zwingen die Abweichler in den Reihen der Koalition Brandt, im September die Vertrauensfrage zu stellen. Durch Stimmenthaltung des Kabinetts wird diese verweigert und Neuwahlen werden fällig. Im selben Monat kam es zu einem blutigen Zwischenfall bei den olympischen Spielen in München. Bei einem Überfall arabischer Freischärler auf das olympische Dorf, werden israelische Sportler als Geiseln genommen. Bei dem Befreiungsversuch sterben alle neun Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen.
Bei den vorgezogenen Neuwahlen des Bundestages wird die SPD unter Willy Brandt erstmals stärkste Fraktion und hat mit dem Koalitionspartner FDP einen satten Vorsprung von 9,5% auf die CDU. Die Wahlbeteiligung lag damals bei über 90%
Am 8. April 1973 muß die Welt von einem der größten Künstler des 20. Jahrhunderts Abschied nehmen, Pablo Picasso stirbt im Alter von 91 Jahren.
Im Juni desselben Jahres reist Willy Brandt als erster deutscher Regierungschef offiziell nach Israel. Das Ölembargo der arabischen Staaten führt zur ersten Energiekrise und zu autofreien Sonntagen in Deutschland und anderen Industrienationen. Die Energiepreise steigen stark an.
Am 6. Mai 1974 tritt Willy Brandt vom Amt des Bundeskanzlers zurück und übernimmt damit die politische Verantwortung für den Fall Guillaume (DDR-Spion und Referent des Bundeskanzlers). Sein Nachfolger wird Helmut Schmidt, der am 16. Mai 74 vom Bundestag bestätigt wird. Im selben Jahr stürzt der amerikanische Präsident Richard Nixon über die sog. Watergate Affäre.
Im Mai 1975 beginnt unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen die Baader-Meinhof Gruppe.
Am 7. Juli 1976 stirbt der erste sozialdemokratische Bundespräsident Gustav Heinemann im Alter von 76 Jahren. Bei der Bundestagswahl im Oktober des selben Jahres wird die Koalition unter Helmut Schmidt bestätigt, die CDU/CSU wird jedoch wieder stärkste Fraktion.
Das Jahr 1977 wird das Jahr des RAF-Terrors: im April wird der Generalbundesanwalt Sigfried Buback in Karlsruhe erschossen, im Oktober werden bei einer Flugzeugentführung der Pilot und bei der Erstürmung durch die GSG-9 drei Terroristen erschossen und im selben Monat wird der Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer nach dessen Entführung am 5. September 1977, ermordet aufgefunden.
Im Juni 1979 finden erstmals Wahlen zum Europaparlament statt.